- Cunnersdorf bei Glashütte / Sachsen
Sächsische Schweiz - Osterzgebirge
 
 
 

Das Jahrhundertgewitter (im August 1858)

Schon früher brachte das Gewitter den Menschen Angst und Furcht. In Ermangelung von Wissen über die Kausalbeziehungen zwischen den Ursachen und Wirkungen der Naturgesetze zogen sie ein nahendes Gewitter in die eigenen Bewusstseinsgrenzen und beseelten diese Naturerscheinung. Aus dem Blitz wurden mächtige, wilde Vögel mit brennendem Reisig in den Schnäbeln. Der Donner, er konnte ja nur ein übergroßer Jäger sein, begleitet von einer Meute Wölfe. Dieses Gebilde zog nun eingehüllt in tiefgraue und schwarze Wolken am Himmel entlang und suchte seine Opfer. Die wilden und übergroßen Vögel stießen auf die Menschen herab und legten Feuer. Das war für die Bauern das fürchterlichste, denn sie konnten sich nicht erwehren. So schloss sich die Dorfgemeinschaft zusammen und vervielfältigte damit die Fähigkeiten und Kräfte des Einzelnen nach der Devise, eine Faust ist mehr Wert als fünf Finger.

Wenn man schon in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an Wodan mit seinem Gefolge nicht mehr glaubte, eine höhere Macht musste es doch geben, gegen die sich die Dorfgemeinschaft zu schützen wusste. Also brauchte man eine ausreichende Speicherung von Wasser in Form der Dorfteiche. dazu gehörte eine gut funktionierende Feuerwehr mit entsprechender Technik und disziplinierter Ausbildung. Beim Bau der Ställe, Scheunen und Wohnhäuser mussten die Fluchtwege für Vieh und Menschen beachtet werden. Die Gehöfte verfügten über eigene Brunnen. Einige Eimer mit Wasser gefüllt standen immer bereit. Zu allen guten und bewährten Brandbekämpfungsmitteln gehörte der plötzliche Zusammenschluss aller Gemeindemitglieder. Das stellten die Cunnersdorfer unter Beweis.
Am 25. August 1858, es war ein schwüler Sommertag, hörte man die Leute sagen: "Heute gibt es ein Gewitter" oder "es sieht schlimm aus", damit war die Atmosphäre gemeint. Ja es war auch zum Fürchten. Seit den Vormittagsstunden stand über dem Erzgebirgskamm in südlicher Richtung eine unwahrscheinliche, schwarze Wolkenwand, die sich sehr langsam bewegte. Dieses Ungeheuer wollte scheinbar, ohne einen Umweg zu machen, auf direktem Weg nach Norden, und das kleine Dorf an der Kalkhöhe verschlingen.
Gegen Mittag trat ein heftiger Wind und grollender Donner auf. Unruhe ergriff die Menschen. Die Kinder mussten zu Hause bleiben, die Hunde winselten vor ihren Hütten, die Hühner verdrückten sich in ihre Ställe. Die Menschen sahen wiederholt und ängstlich nach, ob sie auch alle Fenster, Türen und Tore geschlossen hatten. Der Gemeindeälteste Johann Gottlieb Löbe und sein Stellvertreter Wilhelm Jungnickel standen schon einige Zeit auf der Brücke am Spritzenhaus als Signal für die anderen Männer, sich hier einzufinden. Sie wussten, bei etwaigen Bränden und zu erkennenden Überflutungen entschieden oft nur wenige Minuten. Diesen beiden vorbildlichen Männern gesellten sich bald hinzu: der Gerichtsschöffe Johann Gottlieb Steinich, der Gutsbesitzer Karl Friedrich Dießler, der Hausbesitzer Gustav Eduard Steinich und der Gastwirt Ernst Gietzelt.
Sie beobachteten die heranrückende Gewitterwand, die plötzlich ihren Kurs auf Cunnersdorf nahm. Mit einem gewaltigen Sturm, der eine undurchsichtige Staubwolke vor sich her trieb, öffneten sich die Regenschleusen. Plötzlich, Blitz und Donner waren eins, die Fensterscheiben klirrten, die Augen vom Blitz geblendet, ohrenbetäubend der Donner, der Menschen und Tiere erzittern ließ. Dieser Blitz schlug nachmittags 15 Uhr in das Wohngebäude des Gutsbesitzers Friedrich August Böhme ein und setzte es in Brand. Der Brandgeruch verbreitete sich schnell im Dorf, wie die Gewissheit der Menschen: es hat eingeschlagen. So wie das Gewitter das Dorf erreichte, zog es in Richtung Dresden ab.
Es brannte das Wohnhaus mit den darin enthaltenen Möbeln und Vorräten, das Scheunengebäude mit der gesamten Ernte nieder. Die lodernden Flammen setzten sich trotz mutiger Löscharbeiten, an denen sich nahezu alle Dorfbewohner gemeinsam mit der Feuerwehr beteiligten, fort und griffen auf den neuerbauten Stall und das Wagengebäude über. Auch das Dachwerk über dem Tor mit dem eingelagerten Heu entflammte. Die umsichtigen Männer auf der Brücke leiteten den Löscheinsatz der Feuerwehr und der anderen herbeigeeilten Dorfbewohner zur Rettung der in Gefahr stehenden nachbarlichen Gebäude. Gott sei dank, Leben von Menschen und Tieren waren nicht zu beklagen.

- Kurt Friedrich -